Ausgewählte Gedichte Uwe Claus

 

Vokabeln des Lichts, SchumacherGebler Dresden 2022:

 

Ich bin die Katze,

der Berg … Bäume harzen Milch.

Licht schnurrt im Geäst

 

 

 

Der Wald kocht. Sonne

hebt morgens den Deckel an.

Vögel spritzen auf

 

 

 

Am Strauch glasige

Hagebutten, vergrämte

Altweibersonnen

 

 

 

Äste gabeln sich

frischen Schnee aus den Wolken.

Himmlischer Milchreis

 

 

 

Den Bauhelm Gottes

an den Nagel hängen, nachts

den zerschrammten Mond

 

 

 

Ein letzter Spalt Licht

am Bullauge des Mondes.

Haarfein die Hoffnung

 

 

 

Du kannst dir vom Mond

eine Scheibe abschneiden,

sein Licht verfüttern

 

(aus: Vokabeln des Lichts)

 

***

 

Den Mondkopf auf der Schulter, SchumacherGebler Dresden 2018:

 

 

Nach schwerem Gewitter

 

 

Sterne flackern, Strom-

schwankungen am Himmelszelt.

Die Party ist aus

 

***

 

Die Lichtung glüht auf.

(Voll Sonnenstrahlen der Busch.)

Doch die Stimme schweigt

 

***

 

Schwarzer Wurzelfrosch

grätscht die Beine. Totgeküsst!

Die Prinzessin weint

 

***

 

Königskerzen – ver-

neigten sich vorm Regen er-

hobenen Hauptes

 

***

 

Eiterpickel Mond.

Den Finger am Arsch der Welt –

Gott peilt die Lage

 

(aus: Den Mondkopf auf der Schulter)

 

 

 

 

Drei lose Haikublätter

 

 

Der Bach zieht Fäden

durch den Wald. Wurzeln stricken

ein Leben daraus

 

***

 

Artisten im Wind:

Blätter, Vögel – von Bäumen

gerissenes Volk

 

***

 

Eichelhäherschrei

im Gegenwind: Wer wagt, nach

der Frucht zu greifen?

 

 

(aus: Den Mondkopf auf der Schulter)

 

 

 

 

Moritzburg im Winter

 

 

Das Schloss trägt seinen Heiligenschein, den Teich

zu Eis gefroren, die Sonne stelzt auf dünnen Beinen,

leicht gerötet über den Horizont zurück, gestutzte Bäume

stehn Spalier, den Schlagstock drohend erhoben – doch

die Alten gleich den Jungen fallen auf die Knie und

beten mit rot gefrorenen Nasen den Ostwind an

 

 

(aus: Den Mondkopf auf der Schulter)

 

 

 

 

Ziegenhain, eine letzte Fahrt

für Silvio

 

 

I

Gummistiefel, weiß

auf dem Fensterbrett drapiert –

präg(t)en ihr Profil

 

 

II

 

Graugänse bellen

Väterchen Frost den Weg frei.

Röchelnde Blätter

 

 

III

Der Raureifförster

hirscht durchs Unterholz. Raben

wohnen Misteln bei

 

 

IV

Die Mondsichel wirft

ihren Kopf in den Nacken

blickt auf in die Nacht

 

 

(aus: Den Mondkopf auf der Schulter)

 

 

 

 

Kopflos

 

 

Die kupferne Haarnadel des Mondes

hält die Nacht zusammen, Lichtpfützen

pflastern Straßen, Gassen und Plätze.

 

Unausgesprochen Adams Erkenntnis

nicht zum Prinzen geboren zu sein.

 

Der Fluss trägt

irrlichternde Träume zum Meer, mehr

ist nicht zu erwarten

 

 

(aus: Den Mondkopf auf der Schulter)

 

 

 

 

Kaditzsch, bei wechselhaftem Wetter

 

 

I

Der Kolkrabe ruft

die Sonne an, den Himmel

ritzt der Horizont

 

 

II

Böen von Vögeln

schlagen gegen den Himmel,

bis die Scheibe birst

 

 

III

Ein farbiges Kleid

von Blättern auf dem Asphalt –

regengeplättet

 

 

IV

Windräder drehen

beschaulich ihre Runden.

Licht verkürzt den Tag

 

 

V

Wolkenriffidyll:

Der Mondfisch lässt sich treiben,

Sternenlaich steigt auf

 

 

(aus: Den Mondkopf auf der Schulter)

 

 

 ***


Garten Eden im Kopf, Eric van der Wal Bergen / Holland 2010

 

 

Eva bäckt einen Apfelkuchen

 

 

Die Frucht in der Hand ganz leicht, gewogen

und nicht zu leicht befunden, hat Eva bewogen

das Messer anzusetzen, das Kerngehäuse

herauszuschälen, ohne zu hetzen, die Schale

vom Fleisch zu trennen, ob wurmstichig

oder nicht, als Hausfrau sich zu bekennen und

die Frucht in Scheiben zu schneiden, Adam

wird sie darum beneiden, ob es ihm schmeckt

oder nicht, der Erkenntnisgewinn hält sich in Grenzen

unter knusprigem Streusel versteckt, das ist der Sinn

 

 

(aus: Garten Eden im Kopf)

 

 

 

 

Stolberg, bei wechselhaftem Wetter

 

 

Noch immer wartet Thomas Müntzer auf dem Markt,

die linke Hand zur Faust geballt, die rechte offen

und leer der Kopf, ihn leicht nach vorn gebeugt,

ein letztes Wort an seine Weggefährten,

so wartet er noch heute auf ein Zeichen ... Stumm,

der Henker hinter seinem Rücken hält sich bedeckt,

bedeckt wie dieser Himmel ... Oder ist es nur ein Mönch,

der betet? Hände und Gesicht im Dunkeln

verborgen in der Kutte ... Das Rathaus, das erstrahlt

in neuem Glanz, die Stadt, sie wurde restauriert. Auch

die Regenwolken ziehen ab, vergeblich spielt das Licht

mit seinem Fächer, hat den Bogen noch nicht raus ... Doch

was soll's? Die Himmelsleiter wurde Spross für Spross

im Fachwerk schon verbaut, den Bürgern ist es gleich ...

Verdrossen bleibt nur Müntzer, Thomas auf dem Markt,

 

da wartet er noch immer

 

 

(aus: Garten Eden im Kopf)

 

 

 

 

Oldendorfer Totenstatt

 

 

Eine Herde ruhender Hünengräber.

Ein Hauch Wacholder liegt in der Luft.

Die Heide reibt ihr dickes Fell am Wind.

Windgebeugt auch die Kiefer. Sie trotzt,

trotz ihres Schädels, als Mammut der Zeit

 

 

(aus: Garten Eden im Kopf)

 

 ***

 

Raben halten Siesta, Verlag DIE SCHEUNE Dresden 2006:

 

 

Bereitschaft

 

Steh auf,

nimm dein Bett

und geh hin! Joh. 5,8

 

 

Du kannst sagen,

was du willst!

 

Erst

wenn der Kranke

auf der Matte steht, er

sich im Kopfe dreht, in Gedanken

schon nach Hause geht,

ist er bereit.

 

Du kannst

ziehen und zerren an ihm,

ein Exempel statuieren, ihn aufrichten,

hochheben, auf zwei Füße

stellen.

 

Wozu?

 

Erst

wenn er sich auf-

regt, der Aufstand unter

der Schädeldecke ihn

von der Matte fegt, ist es

 

an der Zeit

 

 

(aus: Raben halten Siesta)

 

 

 

 

Prager Straße

 

 

Das ist der Anfang

vom Ende: Panflötenduelle, lateinamerikanische Klänge

live aus der Konserve. Weißes Hemd, schwarze Hose

(- Himmel und Hölle fein säuberlich

getrennt!) die Vertreter der Kirche Jesu Christi

mit einem Lächeln auf den Lippen als sei ich

der Erwählte. Das Werbegeschenk ein Handy

zum Nulltarif, der Vertrag liegt auf der Hand: “Ruf

doch mal an ...” Auf dem Laufsteg am Samstagvormittag

die Schönen (- zeitlos Schwarz!): Gothik

im Haar, New Wave im Ohr und Löcher

in den Strumpfhosen - zeigen Haut. Dagegen

ein Mittvierziger (- Marke: Geschiedener Familienvater!)

zugeknöpft bis auf den letzten Knopf überm prallen Bauch

(- aber bierselig lallend!): “Soviel Sonnenschein ...

hier möchte ich Grashüpfer sein ...” Am Ende

ist der Bu(e)rger King

 

 

(aus: Raben halten Siesta)

 

 

 

 

Burgsvik. Südgotland

 

 

Eine Tankstelle, eine Strandkirche, ein Konsum der

sich anders nennt, ein Kino von dem

man mir berichtete und ein alter Hafen - zwei

senile Kutter nicken vor sich hin: Der Fisch

ist auch nicht mehr das, was er mal war! Dazu

drei Häuser oder ein paar mehr

Hunde und Spitzbuben.

 

So stell ich mir das Ende der Welt vor ...

 

Selbst Engel

haben die Brutplätze verlegt, ihr Nachwuchs

flattert im Wind, macht erste Startversuche

auf der anderen Seite der Bucht; anfangs

siehst du Sternschnuppen

nachts ins Meer stürzen, später jedoch

segnen sie funkelnd das Land.

 

Am Tag gehört die Gegend den Trollen; versteckt

hinter struppigen Wacholderbüschen, unter dornigem Fußgestrüpp

oder zwischen aufgeschichteten, wackligen Feldsteinmauern - um

dir, einsamer Wanderer, knietiefe Tümpel und

Wasserlöcher in den Weg zu spucken, heimlich

Handschuhe aus Jackentaschen zu zupfen oder,

wenn du nicht Acht gibst, mit einem dürren Ast

die Brille von der Nase zu stupsen. Dann lassen sie dich

(- halb blind!) eine Dreiviertelstunde (- oder länger!) suchen. Du

rufst GOTT um Hilfe an! Vergeblich.

 

ER hat Wald und Feld beim Knobeln verloren ...

 

Zu allem Überdruss klatscht dir der Wind

das Kichern der Wichte um die Ohren: Was suchst du

auch hier am Ende der Welt

auf allen Vieren?

 

 

(aus: Raben halten Siesta)

 

 

***

 

Haiku, Prisma und Worte wie Fächer, Verlag DIE SCHEUNE Dresden 2001:

 

 

Innere Emigration

 

 

Die Spottdrossel baut

im Kehlkopf ihr Nest, höre

mein Lachen splittern

 

 

(aus: Haiku. Prisma oder Worte wie Fächer)

 

 

 

 

Holzweg

 

 

Der Specht klopft eifrig

meine Erinnerung ab

nur den Wurm im Kopf

 

 

(aus: Haiku. Prisma oder Worte wie Fächer)

 

 

 

 

Frost

 

 

Hängende Köpfe.

Sonnenblumenkerndusche

- Körner tropfen ab

 

 

(aus: Haiku. Prisma oder Worte wie Fächer)

 

 

 

 

Feierabend

 

 

Die Kugeldistel

schlägt den Gong, der Himmel tönt.

Schatten swingt ins Licht

 

 

(aus: Haiku. Prisma oder Worte wie Fächer)

 

 

 

 

Drei schwarze Federn

 

 

Flattriger Flügel-

schlag: Über Nacht die Träume

gerupft bekommen

 

 

(aus: Haiku. Prisma oder Worte wie Fächer)

 

 

***

 

 

Café Europa, Verlag DIE SCHEUNE Dresden 2000:

 

 

Sieben gute Gründe

zu verreisen

 

 

Zu hause

hörst du das gras wachsen

(der rasenmäher dein ständiger begleiter)

zu hause liegt dir der terminkalender

im magen (unverdaulich) die arbeit

zu füßen der feierabend am herzen

zu hause erreicht dich die flaschenpost

abgetauchter freunde

zu hause steckst du jeden morgen

die ansichtskarte deines gesichtes

hinters spiegelglas

zu hause

 

fällt dir

der himmel auf den kopf

 

 

(aus: Café Europa)

 

 

 

 

Betteln und Hausieren verboten

 

 

Früher kam gott noch

bis an die haustüren

ein wandernder scherenschleifer

um unsere sinne zu schärfen, bevor er

 

weiterzog

 

 

(aus: Café Europa)

 

 

 

 

Café Europa

für Uta

 

 

Einen pott kaffee bitte, wie rührend

zucker und milch nur

um mir weis(s) zu machen das leben

sei das reinste zuckerschlecken

als au pair und überhaupt

ich denke an irland

an kinderhüten während die schafe

auf der wiese vor’m fenster grasen

und hinter’m haus die kühe

den hausherrn verfolgen

bei seiner trockenübung für’s golfspiel

zwischen sandkasten und kinderschaukel

- das ohr am hörer spieß ich

schinkenwürfel auf H. beginnt

eine chemotherapie

der verleger überreicht mir das belegexemplar

meines ersten eigenen büchleins und die welt

rauscht durch den gehörgang

KEIN ANSCHLUSS UNTER DIESER NUMMER

tage gibt es

wie rührei mit schinken

 

 

(aus: Café Europa)

 

 

 

 

Ratschlag

für Caritas

 

 

Vater schimpft

Vater brüllt

Vater knallt

deine tür

 

zu Warte ab, tochter

bis ich wieder an

klopfe Dann

 

wickelst du mich

um deinen

 

finger

 

 

(aus: Café Europa)

 

 

 

 

Satz und Spiel

 

 

Gott schmettert den mond seinen

gelben tennisball ins spielfeld der nacht

volley

gegen den lauf

 

hinter deinem rücken springt er

über den horizont ins aus

 

Shake hand am netz

 

ehe du deine sieben sachen packst

und mit einem traum über der schulter

den tag verläßt

 

 

(aus: Café Europa)